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Komplementarität und Interaktion Systemzusammenhänge in Natur und Kultur                 Mit Grundzügen einer Systemtheorie der Tätigkeit

Wilhelm T. Wolze

Zusammenfassung

Systemtheorien sind mit dem Problem konfrontiert, dass sie in quantitativer Form nur extensional begrenzt formulierbar sind, sich also auf spezielle Theorien reduzieren. Extensional umfassender sind zwar prinzipiell qualitativ formulierbare Theorien, doch hier besteht das Problem in einer fehlenden adäquaten Begrifflichkeit, um qualitative Systemgesetze formulieren zu können, die, wenn auch elementar, es verdienen, als Gesetze bezeichnet zu werden. Mit einer formalen Unterscheidungsoperation ist dieses Ziel nicht erreichbar. Unterscheidung und Entwicklung sind komplementäre und damit untrennbare Entitäten.

Das Anliegen dieser Arbeit ist die Entwicklung einer Grundlage für eine qualitative Systemtheorie. Ausgangspunkt sind Zusammenhänge, die konstitutiv für Systeme in Natur und Kultur sind. Zusammenhänge sind Relationen, aber nicht alle Relationen sind Zusammenhänge. Zugrunde liegt die These, dass sich Zusammenhänge auf Interaktionen und Komplementaritäten reduzieren lassen. 

Der Terminus Komplementarität wird unterschiedlich gebraucht und weist darüber hinaus eine große Diffusität auf. In diesem Artikel geht es einmal um eine Präzisierung des Komplementaritätsbegriffs und die Abgrenzung gegenüber anderen Auffassungen. Zum anderen geht es um die Verschränkung von Komplementaritäten und Interaktionen mit einer Erweiterung des Interaktionsbegriffs auf Handlungen bzw. Tätigkeiten. Den Ausgang bilden die Komplementaritäts-Idee Bohrs und ihre Fortführungen in der Naturwissenschaft, insbesondere bei den qualitativen Verallgemeinerungen der Theorien dissipativer Strukturen. Komplementäre Begriffe werden als neue Art von Begriffen eingeführt, und zwar als Begriffspaare, die sich nicht definitorisch auf andere Begriffsarten reduzieren lassen. Diese Begriffspaare konstituieren Unterscheidungen mit wechselseitigen Bedingungszusammenhängen. In diesem Sinne werden komplementäre Begriffspaare als elementare Gesetze aufgefasst. Verknüpfungen von Begriffspaaren liefern komplexere Gesetze. Dies wird an Beispielen erörtert. 

In einem weiteren Abschnitt werden die Begriffe Begriff, Gesetz und Theorie erörtert und anschließend qualitative Systemgesetze diskutiert. Den Abschluss bilden Grundzüge einer qualitativen Systemtheorie der Tätigkeit, ein systemtheoretischer Explikationsansatz der Tätigkeitstheorie der Kulturhistorischen Schule Russlands jenseits von Kausalität und isolierter Finalität, die durch die Funktionalität dynamischer Systeme ersetzt wird. Diese Skizze kann als paradigmatisches Beispiel für die Anwendung der qualitativen Systemgesetze angesehen werden. 

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